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Das tote Kind und der Wahlkampf

Das tote Kind und der Wahlkampf

Was sind wir für eine zynische Gesellschaft geworden? Was haben wir für eine abstoßende, ekelerregende Doppelmoral? Was sind wir gefangen in unserer Blase, von innen verspiegelt, blind für die Außenwelt. Wobei der Vergleich hinkt, zumal unser Wohlstand alles andere als in einer Blase lebt – zu abhängig ist er von der Ausbeutung anderer Teile dieser Welt.

Doch worum geht es?

Die Partei DIE PARTEI hatte in den letzten Tagen für Aufsehen gesorgt mit einem umstrittenen Wahlplakat. Es führte den ohnehin für sich allein schon grenzenlos zynischen Wahlslogan der CDU („Für ein Deutschland in dem wir gut und gerne leben“) in abgewandelter Form: „Für einen Strand an dem wir gut und gerne liegen“. Und es zeigte das Bild des im Jahr 2015 im Mittelmeer ertrunkenen und am Strand bei Bodrum angespülten Jungen Ailan Kurdi, dessen Leiche scheinbar friedlich im Sand lag.

Dieses Plakat darf als Kritik an der aktuellen Flüchtlingspolitik der CDU/CSU & SPD Bundesregierung gewertet werden – vorsichtig formuliert. Und es zeigt auf sehr deutliche Weise die brutale, eiskalte Zynik des CDU-Wahlkampf-Slogans. Denn ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben, nimmt ertrunkene Kinder im Mittelmeer billigend in Kauf. Darüber muss nicht debattiert werden, da herrscht auch kein Deutungsspielraum – es ist eine einfache Tatsache.

Der Post mit diesem Plakat mitsamt der dazugehörigen „Pressemeldung“ der Partei DIE PARTEI wurde von Facebook mehrfach und wiederholt gelöscht. Die Gründe dafür kenne ich nicht. Aber diverse Kommentare lassen auf eine gewisse Haltung in der Bevölkerung schließen. O-Ton ist:

„Ein totes Kind hat im Wahlkampf nichts zu suchen.“

Und da lehne ich mich entsetzt zurück und frage mich kopfschüttelnd, wie verkommen, zynisch und arrogant unsere perverse Wohlstandsgesellschaft bitte geworden ist. Entspricht es etwa nicht dem Pietätsgefühl des geneigten Wählers, mit dem Bild eines toten Kindes konfrontiert zu werden? Ein Kind, dessen Tod relativ unmittelbar die Folge deutscher Außen- Wirtschafts- und Flüchtlingspolitik ist. Eine Politik, die durch die bevorstehenden Wahlen aktuell direkt und unmittelbar zur Diskussion steht. Eine Politik, die sich ganz aktuell rechtfertigen muss für ihre Auswirkungen, ihre Visionen und ihre dunklen Seiten. Daher ist es absolut notwendig, auch die unschönen Folgen der Politik (und es sind viele!) aufzuzeigen. Daher sage ich: im Gegenteil, dieses tote Kind hat seinen Platz in diesem Wahlkampf. Das bestürzende Schicksal des kleinen Ailan, dessen lebloser Körper das Symbol für die Widerwärtigkeit westlicher Wirtschafts-, Außen- und Flüchtlingspolitik wurde, ist elementarer Bestandteil des aktuellen Wahlkampfes. Und es ist haarsträubend, dass es einer Satire-Partei wie der Partei DIE PARTEI bedurfte, um die Wähler wieder daran zu erinnern. Und die Meinung, ein totes Kind habe im Wahlkampf nichts zu suchen, beweist die perverse Ausblendungs- und Verdrängungshaltung der deutschen Bevölkerung. Und es beweist die Verantwortungslosigkeit. Denn streng genommen ist in einer Demokratie das Volk als Souverän auch in vollem Umfang verantwortlich für die Politik. Zumindest einmal moralisch. Und Wegschauen, wenn man mit den bestürzenden, beschämenden und schlafraubenden Konsequenzen der deutschen Politik konfrontiert wird, ist ein deutliches Zeichen für völlige Verantwortungslosigkeit. Das Kreuz des Wählers legitimiert die gewählte Politik. Und zwar nicht nur moralisch.

Grob gesagt darf man konstatieren: wer sein Kreuz für die CDU/CSU macht, macht sein Kreuz für ertrunkene Kinder im Mittelmeer.

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